Die neunjährige Adaline wird mit den Mythen der Schoschonen vertraut gemacht.
Die Tage vergingen.
„Was für einen Tanz üben diese Männer, Halwofunano?“ erkundigte sich Adaline neugierig, als sie eines Morgens vom Fluss zurück kamen.
„Üben ist richtig“, bestätigte die Uralte. „Es ist nicht die Zeit für diesen Tanz. Er heißt Naraya. Sein Zweck ist das Wiederbeleben der Natur, das Wachstum der Grases, der Bäume, der Beeren, er wird für Sonne – dave – und Regen – bauwah – getanzt, auch für Tierreichtum – wazum. Der Gesang lässt Beeren und Gras wachsen, bringt Wild und Fische, lässt das Wasser fließen. Doch kann er auch Sturm und Schnee bringen. Lausche dem Gesang.“
Der Tanz der Männer bestand aus vielen Seitwärtsbewegungen. Dabei bildeten sie einen Kreis.
„Die meisten Worte verstehe ich noch nicht“, bekannte Adaline.
„Du hast ohnehin sehr schnell sehr viel gelernt. Lass dir Zeit.“
„Diese Gesänge stammen von euren Ahnen?“
„Zum größten Teil. Doch kommen neue hinzu. Sie werden im Traum empfangen, und nur der, der sie träumt, weiß von ihrer tieferen Bedeutung. Dennoch ist es seine Pflicht, sie weiterzugeben. Das gilt auch für Mythen, die wir empfangen. Sie müssen bei Tag erzählt werden, weil sonst ein Sturm aufkommt. Die Erzähler müssen Sommergeborene sein, sonst wird es kalt. Es muss vollständig erzählt werden, sonst kommt Sturm auf. Mythen, die im Winter erzählt werden, sollen Frühling und Wachstum beschleunigen. Macht erscheint im Traum, wird im Traum übertragen. Schwache Menschen, die mit der Natur konfrontiert werden, brauchen einen Schutzgeist, starke suchen an Orten der Macht Visionen.“
Adaline dachte angestrengt nach.
„Träume werden zu Worten. Derlei Worte wiederum können die Wirklichkeit beeinflussen, ja sogar verändern.“
Die Uralte nickte lobend.
„Die Sprache ist nicht der Spiegel der Wirklichkeit, die Wirklichkeit ist der Spiegel der Sprache. Die Ritualsprache bestimmt die Dinge, wie sie sein sollen, werden sollen. Denken und Sprechen ändern die Wirklichkeit. Wasserströme sollen aus den Bergen fließen. Wir sprechen direkt und im Befehlston zur Natur: Weiche, Sonne, du bist zu heiß. Wind und Wolken, verschwindet. Wirbelwinde, die ihr von bösen Geistern Toter besessen seid, löst euch auf. Wachst, Pflanzen. Heilt, Pflanzen. Wild, komme. Erde, lass Beeren wachsen. Fluss, bring Fische.“
„Und der Schamane? Kann er mit geträumten Worten, die er ausspricht, Menschen heilen?“
Halwofunano überlegte kurz.
„Dies mag so geschehen sein. Aber kein Schamane kann alles heilen. Das Alter und der Tod sind stärker als jede Heilkraft.“
Sie machte unvermittelt einen sehr bestürzten Eindruck. Abrupt wandte sie sich um und schritt zu ihrem Zelt.