Die Geschichte um den Kurschattenbrunnen in Bad Wildungen nahm doch einen etwas anderen Verlauf, als kürzlich am 20. und 28. April 2020 in der Waldeckischen Landeszeitung beschrieben.
Wir befinden uns im Jahr 1985. Brunnenstraße und Brunnenallee haben infolge des über Jahrzehnte andauernden Bestrebens der Stadt Bad Wildungen nach Fertigstellung der Umgehungsstraßen ihre Eigenschaft als Teil der Bundesstraße 253 verloren. Die auf beiden Straßenabschnitten durch Aufstellung von langsam zu umfahrenden Hindernissen getesteten Verkehrsberuhigungsmaßnahmen, wie sie seit einigen Jahren in der Bundesrepublik Deutschland erprobt werden, zeigen vor allem gestalterische Mängel. Zudem rücken die städtischen Gremien von den Bedingungen des Generalverkehrsplanes aus dem Jahr 1973 ab, die Verkehrsverbindung zwischen der Kernstadt und dem Stadtteil Reinhardshausen zu unterbrechen.
Eine umfangreiche bauliche Veränderung mit dem Ziel, den Alleecharakter zu erhalten, stand an. Das Bad Arolser Büro Plaßmann wurde mit der Planung beauftragt. Als einer der zentralen Stellen der Straßengestaltung galt seit Alters her der Schnittpunkt zwischen Brunnenstraße und Brunnenallee als Hauptverkehrsverbindung der Altstadt zum Kurgebiet und der Georg-Victor-Quelle, dem vormaligen Sauerbrunnen. Diese Bedeutung sollte hervorgehoben werden. Eine in Nordhessen beheimatete Künstlerwerkstatt schlug vor, sich diesen Ort als Gelenk vorzustellen und als sichtbare Zeichen dafür die Säulen des Kirchenschiffes der Stadtkirche und der Wandelhalle in schlanker Form als Vorbild zu nehmen und könnte in der Form eines Rondells mit einem von Pflanzen bewachsenen umlaufenden Fries und einem Brunnen versinnbildlicht werden. Als Anregung mag das in Worms in unmittelbarer Nähe des Doms stehende Denkmal für die Opfer des Faschismus gedient zu haben.
Es waren die in unmittelbarer Nähe residierende Lokalredaktion der Waldeckischen Landeszeitung und der Stadtverordnetenvorsteher, die den damaligen Landesdenkmalpfleger drängten, fachlich begründete Bedenken zu formulieren, um die von dem Vorschlag der Künstler überzeugten Bürgermeister und Magistrat davon abzubringen. Bürgermeister Dr. Lückhoff ging von der Annahme aus, mit einem maßstabgetreuen Modell aus Styropor die Kritiker von der Güte des Rondellentwurfs der Künstlerin überzeugen zu können. Jedoch verkehrte sich die gute Absicht ins Gegenteil.
Die Einflussnahme auf Bürger und Öffentlichkeit hatte Erfolg.
Die Künstlerin überraschte mit einem verblüffenden Alternativvorschlag ihre Kritiker. Der in Kurstädten bei Gästen und Einheimischen süffisant gebrauchte Begriff des Kurschattens, einer aus Flirt und Liebelei sich zusammenfügenden Melange zwischen weiblichen und männlichen Kurgästen während eines Kuraufenthalts, sollte vergegenständlicht werden. Aber auch dieser Vorschlag stieß diesmal auf die Kritik um Moral bedachter Einwohner, fand aber bei der Mehrheit in den Gremien und in der Bevölkerung Gefallen. Und so entstand ohne vorheriges Modell ein Brunnen aus Sandstein mit einem Relief, das den Reichsaußenminister Gustav Stresemann und den seinerzeitigen Bürgermeister Dr. Lückhoff als Gäste im Kurpark zeigt, sich duschenden menschlichen Gestalten beiderlei Geschlechts und einem im Bad sitzenden älteren Mann, der sich winkend einer sich keck umdrehenden jungen und einen Schatten hinterlassenden Frau zuwendet.
Gedankliche Reste an ein Rondell sind nur noch in drei kantigen Säulen aus Metallgestänge zu erahnen.
Die in der Anlage jedoch versteckte Kritik der Künstlerin an ihrem Vorschlag zum Bau eines Rondells zeigt sie in der Gestalt der neben dem Brunnen als Rest eines fragmentarischen Rondells errichteten vier Meter hohen Wasser spendenden Kupfersäule, die über die Hälfte ihrer Höhe wie aufgesprengt steht und nicht mehr verwendet werden kann. Am Fuß der Säule zeigt sich ein Krokodil. Diese Echse ist das Symbol der gefräßigen Presse, wie die WLZ am 28. April die Witwe des vormaligen Redakteurs zitiert. Die als zerstörter Gegenstand dargestellte Säule hingegen symbolisiert das unkultivierte Denken und Gerede all derer, die die wohlgemeinten Überlegungen der Künstlerin zunichte gemacht haben. Das ist Kunst !!
Gleichwohl ist am Ende anzuerkennen, dass der Kurschattenbrunnen der Stadt Bad Wildungen mehr Aufmerksamkeit bescherte und noch immer beschert, als es ein Rondell mit bepflanztem Fries nebst einem Brunnen erreicht hätte.
Manfred Hülsebruch
Lieber Manfred, bei den Plaßmanns kann man schon mal durcheinander kommen, besonders wenn man sich gleichzeitig mit dem „Kurhaus“ beschäftigt.
Mit der Planung der Brunnenallee wurde damals allerdings das Büro Plaßmann & Nolte aus Kassel beauftragt.