Wie die Meinungsfreiheit gefährdet wird

Franz Hals "Der Narr" (Foto: germanposters.de)

Wieder einmal befinden wir uns in einer Zeit, in der Menschen mit eigenen Meinungen von anderen aus persönlichen oder auch politischen Gründen systematisch schlecht gemacht werden. Die Kontroverse um die westlichen Sanktionen gegen Russland einerseits und die milliardenschwere Unterstützung der Ukraine mit Waffen andererseits ist offenbar ein willkommener Anlass für solch undemokratisches Meinungsbashing. Wie das psychologisch immer wieder funktioniert, demonstriert uns ausgerechnet ein prominenter Russe, nämlich der berühmte Schriftsteller Iwan Sergjewitsch Turgenew, der von 1818 bis 1883 lebte und fließend Französisch sowie Deutsch beherrschte. (hmz)

Der Narr

Einst lebte ein Narr. Er lebte lange herrlich und in Freuden. Allmählich gelangte jedoch das Gerücht zu ihm, er gelte überall als fader Narr.

Verwirrt und traurig überlegte er nun, was dagegen zu tun sei. Plötzlich erhellte ein Gedanke seinen dunklen Verstand… Er verwirklichte sein Vorhaben sofort.

Als er auf der Straße einem Bekannten begegnete und dieser einen berühmten Maler zu preisen begann, rief er aus: „Was reden Sie da?… Dieser Maler ist längst abgetan! …Wissen Sie es nicht? Das hätte ich nicht von Ihnen erwartet! Was sind sie für ein rückständiger Mensch!“ Der erschrockene Bekannte stimmte sofort dem Narren zu.

„Was habe ich heute für ein herrliches Buch gelesen!“ sagte ein anderer Bekannter dem Narren. „Aber ich bitte Sie!“ schrie der Narr. „Schämen Sie sich nicht? Dieses Buch ist gar nichts wert! Niemand schätzt es mehr! Wissen Sie das nicht? Was sind Sie für ein rückständiger Mensch!“ Auch dieser Mensch erschrak und war sofort derselben Ansicht.

„Mein Freund N.N. ist ein wunderbarer Mann!“ versicherte dem Narren der dritte Bekannte. „Ein wahrhaft edler Charakter!“ „Himmel!“ rief der Narr aus. Wie jeder weiß, ist N.N. ein gemeiner Kerl! Er hat doch seine ganze Verwandtschaft bestohlen. Wie kommt es, dass Sie es nicht erfahren haben? Was sind Sie für ein rückständiger Mensch!“ Der dritte Bekannte erschrak ebenfalls, stimmte ihm zu und sagte sich von seinem Freunde los. … Und so kam es, dass der Narr immer wieder dasselbe antwortete, sobald etwas gelobt wurde.

Manchmal fügte er auch vorwurfsvoll hinzu: „Und Sie glauben auch noch an Autoritäten?“

„Ein böser, ein gehässiger Mensch!“ hieß es nun über den Narren. „Aber welch ein Kopf!“ „Und was für eine scharfe Zunge!“ fügten andere Bekannte hinzu. „O ja, er ist begabt.“

Schließlich bot ihm der Herausgeber einer Zeitung eine leitende Stelle als Kritiker an. Und nun unterzog der Narr alle und alles einer bissigen Kritik, ohne seine Ausdrucksweise oder seine entrüsteten Ausrufe zu ändern. Jetzt war er – der einst jede Autorität schmähte – selbst eine Autorität, und die Jugend verging vor Ehrfurcht vor ihm – und fürchtete ihn auch.

Ja, wie sollten diese unglückseligen Jünglinge sich auch verhalten? Obwohl ja – unter uns gesagt – eine derartige Verehrung nie angebracht ist, blieb ihnen nichts anderes übrig. Wie sollten sie ihm nicht Ehrfurcht bezeugen? Liefen Sie doch Gefahr, als rückständig zu gelten.

Ja wie gut geht es Narren, wenn sie unter Feigen leben!

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