Das AKW Fessenheim ist definitiv stillgelegt

Dank grenzübergreifendem Widerstand ist mit der veralteten Anlage nun Schluss.

Endlich vom Netz: das französische AKW Fessenheim. Foto: Keystone

Gastbeitrag zum Kraftwerk-Aus

Liebe Leserinnen und Leser, woher auch der Strom in Ihre Steckdose kommt – aus diesem AKW nicht mehr. hmz

Meinung: Jürg Stöcklin, Präsident Trinationaler Atomschutzverband

Mit der definitiven Stilllegung des AKW Fessenheim am Montagabend ist die Gefahr eines schweren Atomunfalls für die Bevölkerung von Basel-Stadt und im Dreiland deutlich kleiner geworden. Die grenzüberschreitende Bewegung gegen das Kernkraftwerk kann nun die Früchte ihrer jahrelangen, hartnäckigen Bemühungen ernten.

Der Kampf für die Abschaltung wurde auf der Strasse geführt, mit wissenschaftlichen Gutachten und technischen Argumenten vor Gerichten ausgetragen, und schliesslich vom französischen Staat politisch entschieden. Der Widerstand gegen die Anlage wurde zu stark und deren Sicherheitsmängel aufgrund ihres Alters zu offensichtlich. Ausserdem ist die geringe Rentabilität der Atomkraft im Vergleich zu den erneuerbaren Energien zu deutlich geworden.

Das AKW Fessenheim hätte dort, wo es stand, nie gebaut werden dürfen. Denn es steht in einer Erdbebenzone und ist bei einem Dammbruch des anliegenden Rheinseitenkanals von einer Überschwemmung bedroht. Die Anlage hatte von Beginn weg technische Schwächen, die bei später gebauten Reaktoren eliminiert wurden.

Grenzüberschreitender Widerstand

Während die atomkritische Volksbewegung, die 1975 mit Bauplatzbesetzungen ihren Anfang nahm, die geplanten Atomkraftwerke in Wyhl (D) und Kaiseraugst (CH) verhindern konnte, kam diese Bewegung in Fessenheim (F) zu spät: 1977 wurden dort zwei Druckwasserreaktoren in Betrieb genommen – ursprünglich waren sogar vier Reaktoren geplant.

Die Stilllegung von Fessenheim ist ein Erfolg der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. 2005 wurde dafür in Basel der Trinationale Atomschutzverband (TRAS) gegründet. Er hat zum Ziel, durch unabhängige Expertisen und Klagen die Stilllegung von Fessenheim zu erreichen. Als Mitglieder sollten in erster Linie politische Körperschaften – Gemeinden, Städte, Landkreise und Kantone – gewonnen werden. Möglich wurde die Gründung durch die Bereitschaft des Kantons Basel-Stadt, den Verband von Anfang an finanziell und durch Expertenwissen zu unterstützen. Bereits zwei Jahre später waren über 60 Gemeinden aus den drei Ländern Mitglieder beim Verband.

Fukushima verleiht der Bewegung Schub

Mit einem Gutachten unabhängiger Geologen aus Genf konnte 2007 die fehlende Erdbebensicherheit der Anlage nachgewiesen werden. 2008 reichte TRAS deshalb bei französischen Gerichten eine Klage ein und forderte die sofortige Schliessung von Fessenheim. Dieser Einspruch wurde abgelehnt – zwei Tage vor dem Atomunfall im japanischen Fukushima. Es folgten die Berufung bis vors oberste französische Verwaltungsgericht und weitere Klagen mit zusätzlichen unabhängigen Expertisen.

Die Nuklearkatastrophe von Fukushima verlieh der Forderung nach der Stilllegung in Fessenheim starken Schub. Auf Initiative des TRAS verabschiedeten 167 Gemeinden und Städte, darunter 55 französische Körperschaften, entsprechende Resolutionen. Mittlerweile konnte der Verband mit seinen mehr als 100 Mitgliedsgemeinden im Namen von annähernd einer Million Menschen auftreten.

Speerspitze des Atomausstiegs

Der Durchbruch wurde erreicht, als der damals frisch gewählte französische Präsident François Hollande 2012 erklärte, dass er Fessenheim 2016 schliessen werde. Er anerkannte, dass dieses AKW ein Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung darstellt.

In Frankreich ist Fessenheim zur Speerspitze des Atomausstiegs geworden. Die Befürworter machten den Klimawandel zum Argument gegen einen Atomausstieg. Die Betreiberfirma Électricité de France SA (EDF) verzögerte die Schliessung um Jahre und erreichte am Schluss sogar eine Entschädigung in Millionenhöhe. Demgegenüber sind die von der EDF bekannt gewordenen Rückbaupläne für Fessenheim wenig geeignet, Vertrauen zu erwecken. Denn auch nach der Stilllegung bestehen Risiken, zumindest solange die Brennstäbe in Lagerbecken auf dem Gelände gelagert werden. Das soll noch bis Mitte 2023 der Fall sein.

Beznau ist noch näher

Bis das Gelände atomfrei ist, kann die Bevölkerung im Dreiland nicht ruhig sein. Darum wird der TRAS den Rückbau kritisch begleiten und wenn nötig entsprechenden Forderungen auf dem Beschwerdeweg Nachdruck verleihen.

Die Schliessung von Fessenheim ist Grund zur grenzübergreifenden Freude, aber kein Anlass zur Euphorie. Denn noch näher an Basel als die elsässische Anlage liegt das AKW Beznau im Kanton Aargau – das älteste AKW der Welt, das in Betrieb ist. Auch dessen Sicherheit wird von unabhängigen Experten in Zweifel gezogen. Der TRAS wird deshalb – neben der kritischen Beobachtung des Rückbaus in Fessenheim – die Kritik an diesem AKW ins Zentrum seiner Bemühungen stellen.

Publiziert in: Basler Zeitung online, am 29.06.2020, 20:54 h

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