Adaline (10/19)

Küste vor Maine (Foto: David Mark auf Pixabay)

Infos zum Autor und seinem Werk finden Sie in der Folge 2. Leider hat sich aus organisatorischen und technischen Gründen seit der vorigen Folge eine etwas größere Pause ergeben.

In einem verlassenen Fort an der Atlantikküste Maines sind Kit Carson und Washakie bei ihrem alten Freund Norman Schutzbier zu Gast. Dieser beschwört zunächst in Washakie Erinnerungen an die Vergangenheit herauf. Danach ist Kit Carson an der Reihe.

Bisher hatte er nicht den geringsten Grund gehabt, die Treckroute, für die er sich entschieden hatte, zu bereuen. Der Zug aus zwölf Wägen passierte gerade Chouteau’s Island ungefähr fünfzehn Meilen südlich. Es war richtig gewesen, den Cimarron Cutoff zu vermeiden: mehr Wasserstellen, besseres und nahrhafteres Gras – und weniger Indianer, die gefährlich werden konnten. Man hatte schließlich zwei junge Frauen dabei, die es zu beschützen galt.
Eine milde Frühlingssonne blickte an diesem Tag im Jahr des Herrn 1851 auf eine blühende Prärie von großer Vielfalt hernieder. Das hohe Präriegras, das den heißesten Sommern und kältesten Winters erfolgreich widerstand, bot unzähligen Tierarten Schutz und Nahrung: Mäusen, Hasen, Weißwedelhirschen, Singvögeln, Truthühnern, Tauben, Coyoten, Füchsen, Waschbären, Wachteln, Schlangen. Wo die Prärie in Marschland überging, war eine Vielfalt an Enten und Reihern zu sehen. Die Sümpfe wiederum boten Fischarten Lebensraum, die es nirgendwo sonst gab.
Kit Carsons blonde Mähne fiel ihm noch weiter auf die Schultern, als er versonnen in den freundlichen Himmel starrte. Sollte tatsächlich alles gut gehen?
Schließlich lenkte der frühere Trapper und jetzige Scout sein Reittier wieder in Richtung der Wagen.
Nach Geschäften in Kansas und St. Louis hatte er die Gelegenheit beim Schopf gepackt, endlich wieder seine Verwandten im Howad County zu besuchen. Sein Handelsgefährte Jesse Nelson war mitgekommen. Prompt hatte er sich in Kits Nichte Susan verliebt, die Tochter seines Bruders Robert. Jemand, der sich höchst selten in der Zivilisation aufhält und nirgends sesshaft ist, hat die Gewohnheit entwickelt, schnelle Entscheidungen zu treffen. Jesse und Susan hatten noch vor dem Aufbruch geheiratet. Die weiteren Zugteilnehmer bestanden aus einem Frankokanadier, dreizehn Mexikanern – und Adaline. Für sie alle trug Kit die Verantwortung.
Jetzt, wo sie auf dem Weg nach Westen waren – Kit Carsons Heimat in Taos, New Mexico, war ihr Ziel – wuchs allmählich die Zuversicht der Frischvermählten, ihr Ziel ohne größere Hindernisse und Gefahren zu erreichen.
Jesse Nelson war gerade mit den hinteren Wägen beschäftigt. Auf dem Bock des ersten Wagens saß Susan – und neben ihr Adaline, die ihn mit Erfahrung, Geschick und Begeisterung lenkte.
Adaline, die Kit so lange vermisst hatte.
Sie war noch schöner geworden, seit er sie zum letzten Mal gesehen hatte. Warum ließ ihm sein unstetes Leben so wenig Zeit für die wichtigsten Dinge des Lebens?
„Du hast mir versprochen, dass wir Cheyenne sehen werden“, begrüßte Adaline Kit. „Wann endlich? Und wo?“
„Halte die Augen auf“, erwiderte Kit.
Eine halbe Stunde später erspähte Adaline die Indianersiedlung und gab einen freudigen Laut von sich. Ohnehin zur Hälfte Indianerin, war ihr die Zeit bei den Schoschonen unvergesslich geblieben.
„Warum ziehen wir vorbei und begrüßen sie nicht?“ wunderte sie sich wenig später, als Kit keine Anstalten traf, den Wagenzug auf das Indianerdorf zuzulenken.
Der Scout bemühte sich, seine Antwort möglichst behutsam zu formulieren.
„Sie haben uns zur gleichen Zeit gesehen wie wir sie. Ich hätte erwartet, dass uns zumindest einige neugierige Kinder entgegengelaufen wären, die kleine Geschenke erwartet und auch bekommen hätten. Ihnen wären Erwachsene gefolgt, und ein Tauschhandel in bescheidenem Maße hätte sich angebahnt. Mir scheint … dass ihnen daran gerade nicht gelegen ist.“
Adaline hatte ihn trotzdem sofort verstanden.
„Wird es Ärger geben?“
„Das wird sich zeigen.“

Hat Ihnen unser Artikel gefallen?