Sehr geehrte Leserinnen und Leser. Während sich inzwischen die veröffentlichten Nachrichten nach der Ermordung des Kasseler Ministerpräsidenten Dr. Walter Lübcke hauptsächlich um den mutmaßlichen Täter drehen, ist seine Persönlichkeit aus dem Fokus gerückt. Uns wurde vor kurzem das nachfolgende Interview, das für die Publikation in einem anderen Medium vorgesehen war, zur Verfügung gestellt. Es entstand im vorigen Sommer und wurde am 3. September 2018 ausdrücklich autorisiert. Der Anlass war das 50-jährige Jubiläum des Junggesellenclubs Anraff, dem Dr. Lübcke seit 1969 angehörte. – Das Interview führte P. F.*)
„Herr Dr. Lübcke, das Gründungsjahr des Junggesellenclubs fällt in das Jahr 1968, nicht zufällig wie ich meine. Haben die gesellschaftlichen Umwälzungen der Jahre 1968 und folgende Einfluss auf die Gründung des JGC genommen und wenn ja, welche?“
Die Gründung des Junggesellenclubs Blau-Weiß 1968 Anraff war tatsächlich weit entfernt von den Umwälzungen der 1968-er Jahre. Die ersten Freundinnen wirbeln die gewohnten Freundschaften der männlichen Dorfjugend doch nachhaltig durcheinander. Dieser sogenannte Junggesellenclub sollte die gewohnten Freundschaften unter Jungs bestärken und einen Raum für ein bisher gewohntes Leben und Gespräche schaffen; also ein geschützter Raum, ein „Reservat“ der Geselligkeit für uns heranwachsende junge Männer.
„Herr Dr. Lübcke: Ich habe mich mit Ihrer Vita beschäftigt. So wie es aussieht haben Sie den bürgerlichen Aufstieg, dem revolutionären Gehabe von damals den Vorzug gegeben. Banklehre, 8 Jahre Bundeswehr, danach Studium, Promotion. Eintritt in die CDU, Stadtrat, Landesregierung, Regierungspräsident Dr. honoris causa. Ein beispielhafter bürgerlicher Aufstieg.
Was sind Ihre persönlichen Eindrücke und Erinnerungen von damals, einer bewegten Zeit und wann sind sie dem Junggesellenclub beigetreten und was waren Ihre ganz persönlichen Motive? “
Zum Beitritt in den Junggesellenclub und meinen Motiven siehe oben.
Mein beruflicher Werdegang führte über den zweiten Bildungsweg. Nach der Schule wollte ich erst mal selbständig Geld verdienen und die Arbeitswelt kennenlernen.
Die Bundeswehr rief mich dann im Rahmen der Wehrpflicht und die Verpflichtung als Zeitsoldat entsprach durchaus meiner Haltung und Grundüberzeugung. Die Bundeswehrzeit war auch eine Lehrzeit, die mich Führung, Ordnung und Durchhaltevermögen lehrte. Vielleicht waren es dann Alter und Reife, die mich bewogen, ein Studium aufzunehmen und schließlich zu promovieren. Politik interessierte mich schon immer und ich wollte das Machbare und Wünschenswerte für meine Heimat auch durchfechten. Die Grundüberzeugung der Union, das Bewahren der Schöpfung waren nur zwei Gesichtspunkte, warum ich in die CDU eintrat. Vielleicht spielten auch die damals bedeutenden Personen wie Konrad Adenauer und Ludwig Ehrhard eine Art Mentorenrolle für diese Entscheidung.
Für die Karriere möchte ich auch ein wenig Glück und Zufall verantwortlich machen. Aber ich denke, die Menschen nehmen es mir persönlich ab, dass ich für Sie und für die Region hier in Nord- und Osthessen in den jeweiligen Ämtern eintrat und eintrete.
„Herr Dr. Lübcke: Ihre Doktorarbeit haben Sie im Nachwendejahr 1991 und dem Zusammenbruch der Sowjetunion geschrieben, trägt den Titel „Die frühen wirtschaftlichen Planungsversuche in der Sowjetunion: 1924–1928; worin lag für Sie der besondere Reiz an diesem Thema?
„Dieses Thema lag zu dieser Zeit quasi auf der Hand. Die Welt veränderte sich vom Kalten Krieg zu einer Zeit des Miteinanders. Die freie und soziale Marktwirtschaft besiegte im Grunde die Planwirtschaft, und der Kommunismus mit seinen Ausprägungen in der DDR und dem gesamten Ostblock scheiterte. Ich wollte die Grundlagen dieses späteren Scheiterns aufzeigen und auch darstellen, wie ein zaristisch geführtes Land zu einem Regime wechseln kann, das sich angeblich den Theorien Marx‘ und Engels‘ verschrieben hatte.
„Eine letzte Frage: Wenn ich richtig gerechnet habe, dann stehen Sie dieses Jahr altersmäßig am Tor des Ruhestands. Was machen Sie danach? Verlängern Sie Ihr Arbeitsleben um weitere Jahre, werden Sie ehrenamtlich tätig sein oder gehen Sie auf den Jacobsweg?“
Erst wenn das Ergebnis der Landtagswahl im Oktober und die Pläne des Hessischen Ministerpräsidenten feststehen, dann stellt sich diese Frage.
Für die Zeit nach dem Amt des Regierungspräsidenten steht jedenfalls ein Thema ganz vorn: Die Familie. Meine Familie hat durch meine berufliche Tätigkeit sehr viele Zumutungen hinnehmen müssen, und diese Familie ist gerade um ein Enkelkind gewachsen – da ist mir vollkommen klar, wo künftig mein Schwerpunkt liegt.
Herr Dr. Lübcke, vielen Dank für das Gespräch!
*) Der Interviewer ist der Redaktion bekannt.