„Pressefreiheit“: Wider die professionellen Märchenerzähler

zum internationalen Tag der Pressefreiheit - Märchen und Heuchelei

Foto: verdi.de

Liebe Leserinnen und Leser! „Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich!“ ist eine überkommene Redensart aus ungegenderten Zeiten. Ein unsäglicher Hammerschlag-Kommentar (genannt „Standpunkt“) auf der ersten Seite und vier ganze Sonderseiten teils kaschierter Selbstbeweihräucherung mithilfe lokaler und redaktioneller Persönlichkeiten im heutigen Lokalteil der WLZ/HNA! – So viel Mühe!

Wozu gibt es den Internationalen Tag der Pressefreiheit, der heute mit großem Tamtam begangen wird? Wie gut, dass es Wikipedia gibt: „Hintergrund der Entstehung des Tages ist die Deklaration von Windhoek. Diese Erklärung wurde am 3. Mai 1991 auf einem UNO/UNESCO-Seminar zur Förderung einer unabhängigen und pluralistischen Presse in Windhoek (Namibia) verabschiedet. Zentrale Aussage der Erklärung ist, dass freie, pluralistische und unabhängige Medien ein äußerst wichtiges Merkmal demokratischer Gesellschaften sind.“

Und was versteht man so unter „Presse“? Pardon, aber auch dafür erhalten wir von Wikipedia eine gute Auskunft: „Der Oberbegriff Presse … leitet sich von der Druckerpresse aus der Zeit der analogen Drucktechnik ab und bezog sich ursprünglich auf die Gesamtheit aller verbreiteten Druck-Erzeugnisse (Flugschriften, Einblattdrucke, Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Plakate). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann der Begriff allmählich, die Bedeutung „Gesamtheit der gedruckten Zeitungen und Zeitschriften“ anzunehmen. Ein anderer – überkommener – Ausdruck ist „Zeitungswelt“. Die häufig auch als Bestandteil der „vierten Gewalt“ (abgeleitet von den im Rahmen der Gewaltenteilung getrennten Staatsgewalten Legislative, Exekutive und Judikative) bezeichnete Institution der Presse hat in einer demokratischen Gesellschaft einen wesentlichen Einfluss auf die öffentliche Meinung und auf politische Entscheidungen. Alle freiheitlichen Verfassungen (in Deutschland in Art. 5 GG) garantieren deshalb die Pressefreiheit als Grundrecht. Das deutsche Bundesverfassungsgericht bezeichnet in seiner Rechtsprechung eine freie Presse als „schlechthin konstituierend“ für die Demokratie.

Heute steht die Presse auch für die Gesamtheit aller Zeitungen und Zeitschriften in jeglicher Form sowie für das damit zusammenhängende Nachrichten- und Meinungswesen. In gewissen Wortverbindungen (wie etwa Pressearbeit, Pressesprecher, Pressekonferenz etc.) steht der Wortteil „Presse“ in einem erweiterten Sinne für die Gesamtheit aller öffentlichen Medien (einschließlich Hörfunk, Fernsehen und Internet).“

Der Sinn dieses Tages ist also: bewusst machen, „dass freie, pluralistische und unabhängige Medien ein äußerst wichtiges Merkmal demokratischer Gesellschaften sind.“ Bestimmt ist es nicht übertrieben, dies Prinzip auch als Voraussetzung für eine Demokratie zu bezeichnen. Im genannten „Standpunkt“ wird von einem HNA-Redakteur exemplarisch vorgeführt, wie man mit einem umstrittenen Beispiel (Russland) scheinheilig von hiesigen eklatanten Verletzungen dieses Prinzips ablenkt:

1.) So bieten etwa die deutschen Medien in der Corona-Pandemie wieder einmal überwiegend bestimmt kein pluralistisches Informations- und Meinungsbild, sondern tun sich wie in einer Kampagne erneut unisono hauptsächlich als Werbeträger für Regierung(en) und (Pharma-)Industrie hervor.

2.) Als einzige bundesdeutsche kritische Tageszeitung steht die junge Welt unter Dauerbeobachtung durch den Inlandsgeheimdienst. Seit dem Jahr 2004 wird sie regelmäßig im Verfassungsschutzbericht des Bundes im Kapitel „Linksextremismus“ aufgeführt und dort als „Gruppierung“ eingestuft, die angeblich „verfassungsfeindliche Ziele“ verfolgt. Nun handelt es sich bei der jungen Welt nicht um eine politische Organisation, sondern um ein seit 1947 erscheinendes journalistisches Produkt, das wegen dieser Einstufungen erhebliche finanzielle Nachteile hat.

Es ist doch wohl ein handfester politischer Skandal, dass eine staatliche Behörde sich anmaßt, eine unabhängige Zeitung in dieser Weise an den Pranger zu stellen, weil ihr bestimmte Inhalte nicht passen.

Bevor gedruckte (und andere) Medien für die Information des Volkes genutzt wurden, gab es wie in Europa Boten oder wie in Kleinasien Märchenerzähler. In ihrem Buch „An Nachtfeuern der Karawan-Serail“ beschrieb Elsa Sophia von Kamphoevener dessen jahrhundertealte Funktion: Er war „der einzige Mensch (…), der ungestraft den Mund zur Kritik auftun durfte. Er konnte im Gewande des Märchens vieles sagen, was die geheime Volksmeinung bedeutete (…) und verriet so unzweideutig, was das Volk dachte.“ Deswegen seien Märchenerzähler bei Unruhen von den Machthabern gefürchtet und bis zum Ende der Unruhen in „sorgfältig abgesperrte Lager“ gesteckt worden. Derzeit gibt es in Europa auch Unruhen …

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1 Kommentar

  1. Ein Tag ist zu wenig für die Pressefreiheit.
    Denn jeden Tag geht es um diese Freiheit. „Schwierig, das mit der Freiheit“ überschreibt die Wochenzeitung Kontext ihr Editorial zum Tag der Pressefreiheit in der 579. Ausgabe, und fährt fort:
    „Unser aller Freiheit wird ja gerade verteidigt. Nein, nicht am Hindukusch, sondern im Donbass. Und nein, man muss den russischen Angriff auf die Ukraine, die dort begangenen Kriegsverbrechen, keinen Deut relativieren, um die rhetorischen Keulen, die geschwungen werden, manchmal etwas groß zu finden. Und es ist auch keine Gleichsetzung, kein Whataboutismus, auch einmal über die Freiheit, oder zumindest Teile davon, in der sogenannten westlichen Welt nachzudenken.“
    Gesagt getan: Die Theorie der „westlichen“ Demokratie lebt ja von dem Mythos, das Volk herrsche über sich selbst. Damit kein Chaos entsteht braucht es auf allen Ebenen von unten bis oben Machthaber, die Politik machen und in Abständen – am besten durch Wahlen – ausgewechselt werden. Und damit das Volk seinem Auftrag auch gerecht werden kann, müsste es durch die Presse korrekt informiert sein. Daran haben Machthaber allerdings höchst selten Interesse.
    Kontext weiter: „Der Fall Julian Assange ist da so ein Beispiel. Die Enthüllungsplattform Wikileaks, die der gebürtige Australier 2006 gegründet hat, ist eigentlich ein Geschenk, eine Fundgrube für JournalistInnen. Denn „Wikileaks ermöglicht Journalisten, mit echten Quellen aus erster Hand zu arbeiten“, so der Whistleblower Edward Snowden, „das gab es vorher nicht“. Wikileaks machte unter anderem mehrere hunderttausend Dokumente aus dem Irak-Krieg zugänglich, darunter auch solche, die Kriegsverbrechen der US-Armee zeigten.
    Und deswegen, in Kurzform, versteckte sich Assange erst jahrelang vor der US-Strafverfolgung, saß dann jahrelang in einem berüchtigten britischen Gefängnis in Auslieferungshaft und steht jetzt kurz davor, in die USA ausgeliefert zu werden, wo ihm bis zu 175 Jahre Haft drohen. Eine Auslieferung würde, so Beate Streicher von Amnesty International, nicht nur eine große Gefahr für Assange darstellen, sondern auch „für die Pressefreiheit im Allgemeinen“. Das ist nicht zu hoch gegriffen, denn bei dem, was Assange vorgeworfen wird, „handelt es sich um Praktiken, die für InvestigativjournalistInnen ein alltäglicher Teil des Berufs sind“, so Streicher.
    Was bedeuten nun solche Erkenntnisse in der Lokalpolitik? Auch hier gibt es Machthaber. Kommunale Amtsinhaber und Angestellte, beispielsweise. Die erwecken schon mal den Eindruck, als ob sie sich am liebsten nur handzahme Hofberichterstattung und Bestätigung der eigenen Weltsicht wünschten. Ein Verstoß dagegen wird dann im konkreten Fall mit Infosperre bestraft und mit angeblicher Verbreitung von „Verschwörungstheorien“ begründet.
    Die amtliche Vorenthaltung von Informationen ist sodann Ergebnis einer tatsächlichen Verschwörung – nämlich kommune-übergreifender Absprache auf Amts-Ebene, organisiert über den Ausschluss aus Presse-Verteilern für Mitteilungen aus kommunalen Einrichtungen.

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