von Wolfgang Nawrotzki.
In der letzten Stadtverordnetenversammlung stand ein Antrag der FDP-Fraktion zur Abstimmung: „Kündigung der Städtepartnerschaft mit Yichun, China“.
Fraktionsvorsitzender Stefan Schraps begründete den Antrag mit vielfältigen Menschenrechtsverletzungen der Kommunistischen Partei Chinas gegenüber „Millionen Uiguren, Kasachen, Kirgisen und anderen chinesischen Muslimen“. Die FDP als Partei der Freiheit könne nicht anders, als auch auf kommunaler Ebene ein Zeichen zu setzen.
Bürgermeister Gutheil teilte zum Stand der Partnerschaften mit, dass mit Saffron Walden, Großbritannien, weiterhin Kontakte bestehen, wenn auch in geringem Umfang. Leider sei die Partnerschaft zu Saint Jean de Maurienne in Frankreich fast vollständig zum Erliegen gekommen. Persönliche Kontakte zu China gab es zuletzt im Frühjahr 2019.
Marc Vaupel (CDU) schlug vor, ohne großen Knall die Partnerschaft „einschlafen zu lassen“. Er befürchtete außerdem Schaden für die Holzfachschule, die an der Partnerschaft eng interessiert sei. Rainer Paulus (SPD) beklagte ebenfalls die Menschenrechtslage, riet aber dazu, den Kontakt nicht abzubrechen und die Schwächen deutlich zu benennen. Das sah auch Dr. Schultheis (FW) so: „Wir lehnen den Antrag ab. Sprachlosigkeit ist die schlechtere Lösung. Wir müssen lernen, China besser zu verstehen.“ Dem stimmte auch Regina Preysing (Die Linke) zu: „Man sollte sich besser gegenseitig kennenlernen. Probleme müssen zusammen gelöst werden. Das zeigt sich deutlich beim Klimaschutz.“ Ein Kompromissvorschlag von Stadtverordnetenvorsteher Dr. Schmal, die Partnerschaft auf die Holzfachschule und die Kliniken ohne Beteiligung der Stadt zu übertragen, fand keine Resonanz im Hause. Dr. Schmal zog zurück.
In der Abstimmung fanden sich nur vier Stimmen für den FDP-Antrag, 19 Gegenstimmen und sechs Enthaltungen.
Kommentar:
Wenn man auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 Bezug nimmt, so muss zunächst erläutert werden, dass sie ein Ideal ist und keine verbindliche Rechtsquelle, weil die Vollversammlung der UN kein Völkerrecht schaffen kann (vgl. Wikipedia). Das Modell des „Demokratie-Exports“ der westlichen Gesellschaften in alle Regionen der Welt wird heute zunehmend in Frage gestellt. So hat US-Präsident Biden in seiner Rede zur Lage der Nation die Ära des „nation building“ für beendet erklärt und Frankreichs Präsident Macron sagte, „ich glaube nicht an nation building“ (vgl. IPG, Außen- und Sicherheitspolitik, 14.09.2021). Wenn dem so ist, muss die Frage erlaubt sein, ob der erhobene Zeigefinger der westlichen Staaten in Richtung auf die chinesische Innenpolitik nicht auch ein Quelle ständigen weiteren Unfriedens ist. Die Wildunger Stadtverordneten liegen mit ihrer Alternative des „respektvoll miteinander reden und Unterschiede nicht ausklammern“ da schon eher richtig.
Wozu gibt es Städtepartnerschaften? Doch wohl hauptsächlich dazu, dass sich Menschen aus unterschiedlichen Orten kennenlernen, dass Klischees und Vorurteile abgebaut werden können, dass es zu Schüleraustauschen kommt und sich Bürger der Partnerstädte – ob nun organisiert oder nicht – gegenseitig besuchen. Es kann auch zu Kooperationen auf anderer gesellschaftlicher Ebene kommen, so dass sich Gesangvereine, Bands oder auch bspw. die Feuerwehren austauschen oder gemeinsame Veranstaltungen geben.
All dies ist mit Saffron Walden und St. Jean de Maurienne möglich – sofern in den Rathäusern auch ein Wille dazu besteht. Aber wie will Bad Wildungen mit knapp 18.000 Einwohnern eine Städtepartnerschaft mit der Millionenstadt Yichun sinnvoll praktizieren? Schüleraustausche sind so gut wie unmöglich. Besuche von Stadtverordneten in China wurden bislang für viel Geld mit Wildunger Steuergeldern subventioniert, ohne dass dabei etwas nenneswertes rumkam. Besucher aus Yichun sind handverlesene Apparatschiks aus der kommunistischen Nomenklatura. So kann keine Städtepartnerschaft funktionieren und hat auch noch nie funktioniert. Gegründet wurde sie wohl nur wegen des alten Wildunger Problems: alberne Großmannssucht – einige in der Stadtverordnetenversammlungen wollten ein bisschen einen auf Außenpolitiker machen und sich so selbst profilieren. Wenn eine Städtepartnerschaft mit einem Ort in Asien, dann würden sich Städte aus Japan, Südkorea oder Taiwan eher anbieten.
Deswegen muss man aber niemanden in der Volksrepublik vor den Kopf stoßen. Ausnahmsweise gefällt mir mal ein Vorschlag aus der CDU sehr gut, nämlich die Idee von Marc Vaupel, das ganze einfach „einschlafen zu lassen“, gar nichts zu machen.
Anders sieht es mit Saffron Walden und St. Jean de Maurienne aus. Diese Partnerschaften wurden jahrelang von den Bürgern gelebt. Ich war selbst in beiden Orten schon mit anderen Wildungern in den 90ern zu Besuch. Dies wieder aufleben zu lassen, wäre Aufgabe des Bürgermeisters und der Stadtverordneten. Da ich allerdings vor einigen Jahren von heutigen Protagonisten im Rathaus den Spruch „nach Frankreich nur auf Ketten“ gehört habe, zweifele ich daran, dass man die Partnerschaft mit St. Jean de Maurienne wiederbeleben wird. Da fehlt der Wille.