Das Wort zum Donnerstag: Dresden – nicht nur

Diese Woche hatten erneut der 13. und 14. (also am Montag und Dienstag) in Dresden Symbolcharakter, indem an die Bombardierung und Zerstörung 1945, zwei Monate vor Kriegsende, erinnert wurde. Weil dergleichen von Menschen verursachte Katastrophen geschehen, im „Nahen Osten“ andererseits eine Naturkatastrophe unvorstellbare menschliche Tragödien zeitigt, kann vielleicht der Brief
Blick vom Rathausturm auf die Ruinen der Dresdener Innenstadt im September 1945. © picture alliance/dpa/akg-images

Das grauenvolle Erleben von Zerstörung und Katastrophe

„Dresden, es ist immer Dresden: Als 2007 der Wirbelsturm Katrina über New Orleans hinweggezogen war und die Stadt verwüstet hatte, meinte ein Überlebender: „Es sah aus wie in Dresden. Wie nach einem Krieg, (…) Vor zwei Jahren berichtete die US-amerikanische Zeitschrift The Atlantic über die Zerstörung der syrischen Stadt Aleppo. Die Stadt laufe Gefahr, befand das Blatt, eine 21.-Jahrhundert-Version von Dresden zu werden.“

Mit diesen Worten leitete Bernhard Honnigfort in der Badischen Zeitung am 12. Februar 2015 seinen Artikel in der Badischen Zeitung zum 70-jährigen Jahrestag der zweitägigen Bombardierung Dresdens ein. Inzwischen gibt es in den nur 8 Jahren später noch weitere ungezählte Städte, sowohl in der Ukraine, im Jemen die Hauptstadt Sanaa, Beirut im Libanon als auch Bagdad Orte, die – ohne Vollständigkeit dieser Aufzählung – einen solchen Symbolcharakter bekommen können. Es sind immer wieder von Menschen gemachte Katastrophen, die auch durch Menschen hätten verhindert werden können.

Dagegen sind die Zerstörungen und das Leid im Erdbebengebiet Türkei/Syrien Folgen einer Naturkatastrophe, der die Menschen mehr oder weniger ausgeliefert sind.

Diese Woche hatten erneut der 13. und 14. (also am Montag und Dienstag) in Dresden Symbolcharakter, indem an die Bombardierung und Zerstörung 1945, zwei Monate vor Kriegsende, erinnert wurde. Weil dergleichen von Menschen verursachte Katastrophen geschehen, im „Nahen Osten“ andererseits eine Naturkatastrophe unvorstellbare menschliche Tragödien zeitigt, kann vielleicht der Brief meiner Tante an meinen Vater einen Einblick vermitteln – nicht zum Vergleich, sondern als Beispiel für das menschliche Leid:

Brief einer Überlebenden, 10 Tage nach der Bombardierung Dresdens

Mockethal1, den 24. Febr. 45

Lieber Hans!

Leider haben wir noch nicht Deine genaue Anschrift. Frl. Focke2 schrieb uns nur eine eventuelle. Ja nun haben sie auch Dresden klein gemacht und zwar so gründlich, daß es wohl genug ist. Am 13. Febr. abends kurz nach 9 Uhr ging die Sirene, es war kein rechter Alarm u. keine richtige Vorwarnung. Nach dem ersten Angriff brannte die ganze Innenstadt u. Neustadt, wir hatten nur geringen Wände u. Glas Schaden, die Kinder lagen schon wieder zu Bett, da heulte die Sirene auf u. schon fielen die Bomben. Wir lagen im Keller alle lang und hatten mit unserem Leben abgeschlossen, da mußten wir durch 5 Mauerdurchbrüche raus und kamen auf der Gneisenaustr. raus. Das letzte Stück mussten wir durch Flammen u. Funken runter zur Elbe wo die ersten Toten lagen. Eine ganze Nacht haben wir dann lang auf der Vogelwiese verbracht. Der Sturm u. Regen nahm zu, wir mußten uns legen wir wären sonst auch in die Elbe getrieben. Mutter, Theresa, Christel und ich waren zusammen, Vater fanden wir erst 24 Std später in Mockethal. Als es hell war machten wir uns auf und liefen über Blasewitz bei O. Julius vorbei bis Mockethal. Von Schachwitz an brauchten wir Christel nicht mehr zu tragen da haben wir die zwei Mädel in einen Wäschekorb gelegt und im Wagen gezogen. Vater u. Mutter waren noch öfter in Dr. um ihre Kartoffeln und Koffer aus dem Keller zu holen, nun haben sie alles hier. Am folgenden Sonntag brachte uns Frl. und Frau Focke Manuel. Hier sind wir nun zu 8 Flüchtlingen im Haus.

Sicher, wir waren erst froh ein Dach über dem Kopf zu haben, doch von Tag zu Tag ist der Zustand unerträglicher. Wir haben oben ein Zimmer eingerichtet bekommen was das Schlafz. von Christl, Theresa u. mir ist, das selbe Zim. dient uns als Küche, Wohnz. Bad u. Waschküche. Die Eltern und Klaus schlafen auf dem Boden, wo es durch jede Ziegel pfeift. Von Manuel ist der Koffer mit allem gerettet, auch von Vater u. Mutter. Ich hatte meine Kinder und das ist alles. Weder von den Kindern noch von mir, kein Teil an Wäsche oder Kleider gerettet. Alles, aber auch alles verloren. Rudi3 hat weder Taschentuch noch Strumpf noch sonst was. Seit Rudis Abreise haben wir noch keine Post und bei Roermont toben so tolle Kämpfe. Es wäre das letzte was ich erlebte, wenn ich nun noch den Rudi vermissen müsste.

Alles woran sein Herz hing, was Li in Münster für uns rettete, alles ist hin. Die Eltern von Hilde (Lübars) sind im Keller erstickt u. dann verbrannt. Wir hätten nicht länger im Keller liegen dürfen, dann wäre es uns auch so ergangen. Aber es ist bitter und hart vor einem gar nichts mehr zu stehen.

Bei diesem Wetter ist es besonders schwer, die Kinder dürfen nicht raus u. müssen nur in dem einen Zimmer hocken, wo Mittags Christl schlafen muss u. sich alles abspielt. Unten sind Dieter (Reinis) und Hannel der kleine freche Karl-Heinz, da dürfen unsere Kinder sich nicht sehen lassen.

Dresden ist vollständig hin, Morgen werden es 14 Tage und noch lagen heute Pragerstr. voll Leichen, Vater war heut in Dr[esden]. Ja Hans, Pflege, Ordnung, Ruhe alles ist hin. Unsere Kinder werden bald die Züge der Zeit in ihren kleinen Gesichtern haben. Von Lore kam nichts. Bommels Briefe sind auch verbrannt. Alle Eure Bekannten, Frl. Pentsch (?), Fr. Schuster und wie sie alle heißen mögen haben nichts gerettet. Es war der schlimmste Angriff, den der Feind gemacht hat. Jede Straße und Haus für Haus ist fort und so ganz Dresden. Vater war heute durch die ehemalige Stadt geklettert, es wären alle Kirchen hin, keine steht mehr. Die Brühl’sche Terrasse Oper, Schauspiel, Schloss, Zwinger, Altmarkt u. alles was Du Dir denken kannst, es war einmal. Von Lore kam nicht mal eine Nachfrage, ob Manuel lebt4, wo doch das Radio u. der O.K.W.5 Bericht den furchtbarsten Terror geschildert hat. Ja lieber Hans, wie mag das alles enden u. dann sind wir arm u. stehen vor einem nichts. – Die Eltern schlafen und Kinder auch, nun muss ich Schluss machen. Hannel unten, hat Scharlach u. Ilse u. Dieter haben die Krätze. Man sagt ja, ein Unglück kommt selten allein.

Frl. Focke waren erst hier bei Pillnitz in Hosterwitz, jetzt sind sie mit ihrem letzten Hab und Gut nach Gertgand, b. Tharandt. Frl. Focke schrieb mir heute einen Brief, sie war ganz verzweifelt, es gibt doch noch keine Verkehrsmittel u. wie mit ihrem letzten Hab und Gut fortkommen.

Lieber Hans, so sieht es hier aus, traurig was. Nun werde ich auf die Couch zu Theresa gehen. Es steht für mich fest, dass wir nicht lange das aushalten. Aber wohin, und was anfangen?

Dir lieber Hans beim Kerzenschein, herzliche Grüße von Deiner Schw.6

Maria.

Hoffentlich kommt bald Post von Dir, daß der Brief fort kann.

Heute am 10. März7 kam Deine erste Post an, eine Karte, gestempelt aus dem Würtemb.8 Von Rudi noch keine Post – .

1Der Ort liegt etwa 10 km elbaufwärts von Dresden.

2Manuels Kindergärtnerin Tante Thea, bei der er ab und zu, wie diesmal, übernachtete.

3Ihr Mann und Vater der beiden Mädchen.

4Dass die Mutter zu diesem Zeitpunkt noch (offenbar in Berlin) lebte, bestätigte sich ja später. Drei Tage später wurde ich 4 Jahre alt! Daran muss doch jede Mutter denken. Welchen Schluss Vater aus dieser Mitteilung seiner Schwägerin zog, ist auch bekannt: Sie war als Mutter offenbar unfähig. Im Jahr darauf folgte die Scheidung.

5 Oberkommando der Wehrmacht

6Schwägerin

7Erst jetzt konnte Tante Maria den Brief abschicken.

8Also war er nicht mehr an der Italienfront.

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