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Studie der TU Berlin: Kann die Atomkraft das Klima retten?

Historischer Blick auf das AKW Grundremmingen. (Foto: W. Wacker)

„Zu teuer, zu langsam, zu gefährlich, zu blockierend“

Manche fordern eine Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke. Forscher der TU Berlin untersuchen, ob Kernenergie zur Rettung des Klimas beitragen kann. Studie der TU Berlin: Kann mit Atomkraft das Klima gerettet werden?

„Zu teuer, zu langsam, zu gefährlich, zu blockierend“ – so lautet das Urteil eines internationalen Wissenschaftlerteams der Scientists for Future (S4F) zu der Frage, ob die Kernenergie eine Technologie zur Lösung der Klimakrise sei.  An der Studie „Kernkraft und Klima“ haben auch vier Forscher der Technischen Universität (TU) Berlin mitgewirkt.1

Publiziert auf der Plattform zenodo als Diskussionsbeitrag der Scientists for Future 9: 1–98.

Autoren sind diese Wissenschaftler: Wealer, Ben; Breyer, Christian; Hennicke, Peter; Hirsch, Helmut; von Hirschhausen, Christian; Klafka, Peter; Kromp-Kolb, Helga; Präger, Fabian; Steigerwald, Björn; Traber, Thure; Baumann, Franz; Herold, Anke; Kemfert, Claudia; Kromp, Wolfgang; Liebert, Wolfgang; Müschen, Klaus

ZUSAMMENFASSUNG

Angesichts der sich beschleunigenden Klimakrise wird die Bedeutung der Kernkraft, die derzeit ca. 10 % der weltweiten Stromproduktion ausmacht, für den zukünftigen Energieträgermix diskutiert. Einige Länder, internationale Organisationen, private Unternehmen sowie Forscher:innen messen der Kernenergie auf dem Weg zur Klimaneutralität und zum Ende fossiler Energien eine gewisse Bedeutung bei. Dies geht auch aus Energie- und Klimaszenarien des IPCC2 hervor. Dagegen legen die Erfahrungen mit der kommerziellen Nutzung der Kernkraft der letzten sieben Jahrzehnte nahe, dass ein solcher Pfad mit erheblichen technischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Risiken verbunden ist. Der vorliegende Diskussionsbeitrag erörtert Argumente in den Bereichen „Technologie und Gefahrenpotenziale“, „Wirtschaftlichkeit“, „zeitliche Verfügbarkeit“ sowie „Kompatibilität mit der sozial-ökologischen Transformation“ und zieht dann ein Fazit.

Technologie und Gefahrenpotenziale: In Kernkraftwerken sind jederzeit katastrophale Unfälle mit großen Freisetzungen radioaktiver Schadstoffe möglich. Dies zeigen nicht nur die Großunfälle, z. B. die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima, sondern auch eine Vielzahl von Unfällen, die sich seit 1945 in jedem Jahrzehnt und in jeder Region, die Kernenergie nutzt, ereignet haben. Von in Planung befindlichen SMR-Reaktorkonzepten („Small Modular Reactors“) ist keine wesentlich größere Zuverlässigkeit zu erwarten. Darüber hinaus besteht permanent die Gefahr des Missbrauchs von waffenfähigem Spaltmaterial (hochangereichertes Uran bzw. Plutonium) für terroristische Zwecke oder andere Proliferation. Die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle muss aufgrund hoher Halbwertszeiten für über eine Million Jahre sicher gewährleistet werden; die damit verbundenen Langfrist-Risiken sind aus heutiger Perspektive nicht überschaubar und weisen zukünftigen Generationen erhebliche Lasten zu.

Wirtschaftlichkeit: Die kommerzielle Nutzung von Kernenergie war in den 1950er Jahren ein Nebenprodukt militärischer Entwicklungen und hat seit dieser Zeit niemals den Sprung zu einer wettbewerbsfähigen Energiequelle geschafft. Selbst der laufende Betrieb von älteren Kernkraftwerken wird heute zunehmend unwirtschaftlich. Laufzeitverlängerungen sind technisch und wirtschaftlich riskant. Beim Neubau von Kernkraftwerken der aktuellen 3. Generation muss mit Verlusten in Höhe mehrerer Milliarden US-$ bzw. € gerechnet werden. Zusätzlich fallen erhebliche und derzeit weitgehend unbekannte Kosten für den Rückbau von Kernkraftwerken und die Endlagerung radioaktiver Abfälle an. Energiewirtschaftliche Analysen zeigen, dass die Einhaltung ambitionierter Klimaschutzziele (globale Erwärmung 1,5° bis unter 2 °C) ohne Kernenergie nicht nur möglich, sondern auch unter Berücksichtigung von Systemkosten mit erneuerbaren Energien kostengünstiger ist. Hierzu kommt, dass Unfallrisiken von Kernkraftwerken nicht versicherbar sind und Schäden daher immer sozialisiert werden müssen. Die in aktuellen Diskussionen genannten SMR-Konzepte („Small Modular Reactors“) und die Konzepte der sogenannten „Kernkraftwerke der 4. Generation“ (nicht-Leichtwasser-gekühlt) sind technisch unausgereift und weit von kommerziellen Einsätzen entfernt.

Zeitliche Verfügbarkeit: Angesichts des stagnierenden bzw. in allen Kernkraftstaaten (außer China) rückläufigen Kernkraftwerksbaus, Planungs- und Bauzeiten von zwei Jahrzehnten (und mehr) sowie absehbar geringen technischen Innovationen kann Kernkraft in den für die Bekämpfung der Klimakrise relevanten Zeiträumen von zwei bis maximal drei Jahrzehnten keine Rolle spielen. Die Anzahl des Baubeginns von Kernkraftwerken ist bereits seit 1976 rückläufig. Aktuell befinden sich lediglich 52 Kernkraftwerke im Bau und nur wenige Länder versuchen den Einstieg in die Kernenergie. Traditionelle Hersteller wie Westinghouse (USA) und Framatome (Frankreich) sind finanziell angeschlagen und nicht in der Lage, im nächsten Jahrzehnt eine große Anzahl an Neubauprojekten in Angriff zu nehmen.

Kernkraft in der sozial-ökologischen Transformation: Die größte Herausforderung der großen Transformation, d. h. von sozial-ökologischen Reformen in Richtung zu einem gesellschaftlich gestützten zukunftsfähigen, klimaneutralen Energiesystem, liegt in der Überwindung der Widerstände („Lock-in“) des alten, von fossilen Kraftwerken dominierten Energiesystems. Kernenergie ist nicht geeignet, diesen Transformationsprozess zu unterstützen, sondern blockiert diesen sogar: durch Innovations- und Investitionsblockaden. Nuklearer Wasserstoff ist weder aus technischen noch aus ökonomischen Gründen eine Option zur Steigerung der Auslastung von Kernkraftwerken. Japan ist ein plastisches Beispiel für Transformationsresistenz. In Deutschland schreitet die Atomwende zwar durch die Abschaltung der letzten sechs Kernkraftwerke (2021 bzw. 2022) voran, jedoch sind weitere Schritte zu einem vollständigen Atomausstieg notwendig, u. a. die Schließung der Atomfabriken in Lingen und Gronau. Die Atomwende ist auch eine notwendige Bedingung für eine erfolgreiche Endlagersuche.

Fazit: Im vorliegenden Diskussionsbeitrag wird eine Vielzahl von Argumenten geprüft und am bestehenden Stand der Forschung abgeglichen. Dabei bestätigt sich die Einschätzung der Scientists for Future aus dem Diskussionsbeitrag „Klimaverträgliche Energieversorgung für Deutschland“ vom Juli 2021, dass Kernenergie nicht in der Lage ist, in der verbleibenden Zeit einen sinnvollen Beitrag zum Umbau zu einer klimaverträglichen Energieversorgung zu leisten. Kernkraft ist zu gefährlich, zu teuer und zu langsam verfügbar; darüber hinaus ist Kernkraft zu transformationsresistent, d. h. sie blockiert den notwendigen sozial-ökologischen Transformationsprozess, ohne den ambitionierte Klimaschutzziele nicht erreichbar sind.

1 Den Hinweis auf diese Diskussionsbeiträge verdanken wir der Berliner Zeitung vom 10. November 2021.

2 Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen), wird im Deutschen oft als Weltklimarat bezeichnet. (Quelle: Wikipedia)

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2 Kommentare

  1. Zur Atomkraftnutzung allgemein.

    Atomkraftwerke sind thermische Kraftwerke. Für die Erzeugung eines Kraftimpulses, mit dem man eine Turbine, die wiederum einen Generator antreibt (der elektrischen Strom erzeugt), werden immer zwei Energiequellen benötigt: Eine Wärmequelle und eine Kältequelle.

    Fakt ist: Mit einer Wärmequelle allein, hier die Nutzung der Wärme bei der Atomspaltung bzw. Atomfusion, kann kein Kraftimpuls erzeugt werden.

    Daher stehen thermische Kraftwerke (i. d. R.) auch immer an Flüssen bzw. Flussmündungen. Die Kältequelle ist hier das Süßwasser des Flusses.

    Kurze Funktionsbeschreibung: Das Süßwasser wird (mit der Wärmequelle) in Dampf gewandelt; Dampf, der eine Turbine, die wiederum einen Generator, der Strom produziert, antreibt. Nach Gebrauch wird der Dampf wieder (in Kühltürmen) abgekühlt. Das warme und tote Wasser wird dem Fluss wieder zugeführt. Hier darf ein bestimmtes Mischungsverhältnis, entsprechend der Temperatur und Menge des Wassers, nicht überschritten werden – ansonsten muss die Leistung des Kraftwerks heruntergefahren bzw. es ganz abgeschaltet werden.

    Fazit: Steht keine oder nur eine geringe Kältequelle (Süßwasser), aus was für Gründen auch immer, siehe Klimawandel – Dürre und Trockenheit, zur Verfügung, kann die Wärmequelle (die Atomkraft) nicht zur Kraftgewinnung, somit zur Energiegewinnung, genutzt werden.

    Atomkraftwerke können somit nicht die Energiesicherheit gewährleisten – somit auch nicht wirklich zukunftsweisend sein. Von der ständigen Bedrohung der Strahlenbelastung mal ganz abgesehen.

    Die Industriestaaten befinden sich hier in einem großen Dilemma.

    Die „Energiewende“, die Nutzung regenerativer Energiequellen: Wind, Wasser, Sonne, Biomasse und Geothermie, jedenfalls so wie uns das heute dargestellt wird, wird dieses (energetische) Dilemma nicht beseitigen.

    Im Gegenteil, die Probleme, somit die zukünftigen Aufgaben zur Problemlösung, werden dadurch zwangsläufig größer.

    Begründung: Solange man die nutzbaren Energie- und Kraftquellen, in „Energie>einwegmehrweg>technolgien“.

    In „Energie>mehrweg>technolgien“ wird der erzeugte Kraftimpuls im energetischen Kreislauf geführt.

    Der Energieträger wird hier nicht gewandelt.

    Nein, sein in ihm gelagertes energetisches Potential wird immer und immer wieder zur Kraft- und Wärmebereitstellung genutzt.

    Das in dem Energieträger gelagerte energetische Potential kann überall, an jedem Ort der Erde, dem System, auf einfachste Art und Weise, entnommen und auch zugeführt werden. Diese bewährte Arbeitsweise hält die Natur nun schon viele Jahrmillionen auf der Erde aufrecht, sie ist der Antrieb der Evolution.

    • In der kleinen Kommentarspalte, hier bei wildungen.digital, kann schon mal die Gesamtübersicht eines Kommentars verloren gehen.

      >Korrektur meines Kommentarseinwegmehrweg>technolgien“.

      In „Energie>mehrweg>technolgien“ wird der erzeugte Kraftimpuls im energetischen Kreislauf geführt. Der Energieträger wird hier nicht gewandelt. Nein, sein in ihm gelagertes energetisches Potential wird immer und immer wieder zur Kraft- und Wärmebereitstellung genutzt.
      Das in dem Energieträger gelagerte energetische Potential kann überall, an jedem Ort der Erde, dem System, auf einfachste Art und Weise, entnommen und auch zugeführt werden.

      Diese bewährte Arbeitsweise hält die Natur nun schon viele Jahrmillionen auf der Erde aufrecht, sie ist der Antrieb der Evolution.

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