Papa, Charly hat gesagt – reloadet (2)

Kurhaus

Papa, Charly hat gesagt, sein Vater hat gesagt, um gesund zu werden braucht man kein Kurhaus.
Ist ja klar, weil Charlys Vater anscheinend keine Ahnung hat. Wer auf’m Bau arbeitet, ist an der frischen Luft und hat Bewegung. Das ist schon so gut wie ’ne Kur.
Aber du bist doch vor zwei Jahren auch schon mal zu Kur gefahren, für drei Wochen. Wegen deinem Rücken.
Das heißt „wegen deines Rückens“. Habt ihr in der Schule nicht gelernt, dass „wegen“ mit dem Genitiv steht? Also, wer wie ich an der Arbeit im Büro fast nur am Schreibtisch sitzt, bekommt eben oft schmerzhafte Muskelverspannungen im Hals- und Rückenbereich. Und wenn das zum Dauerzustand wird, muss etwas dagegen getan werden. Das geht aber nicht im Krankenhaus.
Und wieso hilft da eine Kur?
Da bekommt man zum Beispiel unterschiedliche Massagen oder Bäder, sogenannte Anwendungen, lebt entspannter als zuhause, geht viel spazieren, lernt andere Menschen kennen, alle sind freundlich zu einem, eben anders als an der Arbeit. Auch für die Freizeit wird einem viel geboten. Man kann Konzerte oder Theateraufführungen besuchen. Es wird eben nicht nur der Körper kuriert, sondern auch kulturell bekommt man etwas geboten.
Braucht man denn dafür ein Kurhaus?
Nicht unbedingt, aber eigentlich schon. Die Anwendungen sind sonst oft in verschiedenen Gebäuden, ziemlich entfernt voneinander. Im Kurhaus kann davon vieles unter einem Dach stattfinden. Außerdem kann man nach so einer Anwendung unter demselben Dach mal eben ein Buch, eine Zeitung kaufen, ins Bistro gehen oder am Nachmittag eine kulturelle Veranstaltung besuchen. Zu jedem Kurort gehört eigentlich ein Kurhaus.
Und in Bad Wildungen gibt auch ein Kurhaus?
Ja, ein ziemlich schönes sogar. Es steht aber mit seinem Parkhaus seit über zehn Jahren leer.
Wem gehört denn das Kurhaus?
Der Stadt.
Dann ist es ja sozusagen Eigentum aller Wildunger Bürger. Wie nennt man das?
Volkseigentum.
Und die Eigentümer lassen das schöne Kurhaus schon so lange vergammeln? Was soll denn jetzt damit passieren?
Im Stadtparlament, also in der Stadtverordnetenversammlung, gibt es einen Planungsausschuss. Der hat neulich beschlossen, dass Kaufinteressenten für das Grundstück freie Hand bekommen, alles abzureißen und stattdessen ein Hotel zu bauen. Wenn das Parlament dem zustimmt.
Also gibt es dann in Bad Wildungen kein Kurhaus mehr, aber ein Hotel mehr. Und die Käufer bauen so, dass sie an dem Hotel richtig Kohle machen. Warum eigentlich ein Hotel und kein neues Kurhaus?
Damit mehr Touristen und Tagungsgäste kommen. Die sollen eben wieder richtig Geld in die Stadt bringen. Hofft man.
Dann werden die Kurgäste also doch ohne Kurhaus gesund, wir Charlys Vater sagt.
Wahrscheinlich. Aber Die Wildunger haben weniger davon.
Wieso? Dann haben sie doch ein neues Hotel.
Ja, mit ein paar Tagestouristen darin. Aber die Kurgäste bleiben wochenlang. Und für die ist die Kurstadt dann nicht so attraktiv wie mit einem funktionierenden Kurhaus.
Dann wäre eine Kombination von Kurhaus und Hotel doch eine optimale Lösung, oder?
Stimmt, aber nicht für die Leute, die den Bau finanzieren. Die wollen mit dem Neubau nur möglichst viel Geld verdienen.

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